So in seiner neuesten Kolumne, in der Herr F. den Kirchentag in Dresden kritisiert. Für mich als Christen und Sozialisten ist das Thema doppelt interessant. Daß Fleischhauer die EKD nur als eine der "Vorfeldorganisationen" der ihm verhaßten Grünen ansieht, ist kurios, entspricht aber seiner kämpferischen Grundhaltung. Die von ihm zitierten Resolutionen - "Alternativen zum Wirtschaftswachstum", Schutz der Roma vor Ausweisung und das "Recht auf ein Leben ohne Bedrohung durch atomare Strahlen" sind vernünftig; allein den Antrag an die Kirchenleitung, das Schicksal der "der als Hexen hingerichteten Bürger und Bürgerinnen" aufzuarbeiten, scheint mir ein bißchen lächerlich. Was wendet nun Fleischhauer gegen besagte Resolutionen ein?
Vor allem dies: die Anträge zeigten einen "Stolz auf das unbedarfte Denken" auf.
Mit dem Herzen zu denken beziehungsweise mit dem Kopf zu fühlen... gilt auf dieser Art von Veranstaltung als besondere Tugend. Mit der Aufklärung hat sich der Sentimentalismus nie wirklich anfreunden können, Rationalität muss seit langem mit dem Vorwurf leben, zynisch, kalt, ja irgendwie männlich zu sein. Der Stolz auf das unbedarfte Denken ist geradezu Signum der Gefühlstheologie: "Präreflektierte Unmittelbarkeit" sei doch "eigentlich ganz schön", verkündete Margot Käßmann zum Auftakt der grünen Tage in Dresden, womit sie zweifellos vielen Zuhörern aus dem - ja: Herzen - sprach.Und ganz unrecht hat Herr Fleischhauer hier gar nicht: tatsächlich hat sich "der Sentimentalismus" mit "der Aufklärung" nicht abfinden können. Hat nicht die Bourgeoisie "die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt" (Marx/Engels)? Aber der selbsternannte Hüter aufklärerischer Vernunft ist der eigentlich Unvernünftige.
Stimmt es, daß "es auf Dauer schwierig sein dürfte, ein Industrieland ganz ohne verlässliche Energiequellen am Laufen zu halten"? Was heißt "verläßlich"? Verläßlich ist bei fossiler Energie nur die zunehmende Umweltzerstörung nebst ständig drohender Katastrophen, d.h. die Vernichtung unseres Lebensraumes. Damit ist "ein Industrieland" vielleicht "am Laufen zu halten", die Menschen aber nicht. Das ist durchaus logisch: der Bourgeois setzt die Reproduktion seiner Macht gleich mit dem Wohlergehen der Gesellschaft und arbeitete darum im Namen des Fortschritts einst Kinder zu Tode (was nun angenehmerweise größtenteils anderswo geschieht - zum Glück gibt es ja die räumliche Distanz).
Marcuse charakterisiert das als eindimensionales Denken, die Anwendung tadelloser Logik und Rationalität, die sich beim kritischen Hinsehen als katastrophal unvernünftig erweist. Ständiges explosives Wirtschaftswachstum mag den Herren Wirtschaftsweisen vernünftig erscheinen, ja vielleicht sogar eine Existenzbedingung des heutigen Kapitalismus sein. Weil die Ressourcen der Erde aber endlich sind, wird die Forderung nach größerem Wirtschaftswachstum zur Forderung nach der beschleunigten Selbstvernichtung der bürgerlichen Gesellschaft - was so schlimm nicht wäre, wenn sie uns allesamt nicht mit ins Grab risse. Nichts ist unvernünftiger als die Position der Kanzlerin, die uns schnellstens in die Vorkrisenzeit zurückversetzen will, als wir eben vor der Krise standen.
Auch das brutale Absenken des allgemeinen Lebensstandards, die wir gerade in Großbritannien und anderen Ländern erleben, die gewaltsame Umverteilung von unten nach oben scheint sinnvoll, will man den stotternden Motor des Kapitalismus wieder in Fahrt zu bringen (vorausgesetzt, man hält Binnennachfrage für unwichtig). Wer aber am Wohlergehen des Menschen und nicht am Kontostand der Herrscher ansetzt, wird diese "Vernunft" höchst unvernünftig finden. Dazu muß man keineswegs nur mit dem Herzen denken. Die Logik des Kapitalismus läßt sich verteidigen, aber nur "by arguments which are too brutal for most people to face, and which do not square with the professed aims of the political parties". Darum die beispiellose Propagandaoffensive der letzten Jahre.
So löst sich Fleischhauers Kritik an "sentimentalem" Wunschdenken letztlich auf in Kritik alles Denkens, das beim Menschen statt beim Gewinn des Kapitalisten ansetzt. Wer den Menschen als Subjekt und nicht nur als Instrument wahrnimmt, kann Fleischhauer nicht folgen.
Gegen Ende seines Auswurfs aber gelingt es Fleischhauer dann doch, eine interessante Debatte anzustoßen. Er sieht das kirchliche Interesse an weltlichen Themen als fatale Selbstschwächung:
Die Folgen der Selbstsäkularisierung sind heute an vielen Gottesdiensten ablesbar. Kaum ein Pastor traut sich noch, ungeniert von Himmel und Hölle zu sprechen, und wenn, dann ist das nur allegorisch gemeint, wie er sich hinzuzufügen beeilt. Stattdessen findet sich in jeder guten Sonntagspredigt die Litanei über den Kriegstreiber Amerika, die Schrecken der Globalisierung, das Elend der Hartz-IV-Empfänger.Fleischhauers Argument liegen zwei falsche Annahmen zugrunde.
Diese Diesseitsfixierung hat einen für die Kirche unschönen Nebeneffekt: Mit der Verschiebung des Erlösungshorizonts, der sich ganz aufs Heute richtet, setzt sie sich der Konkurrenz zu weltlichen Glaubensorganisationen aus, die dem Bedürfnis nach entschiedenem Handeln sehr viel besser nachkommen können. Warum nicht gleich Mitglied bei Greenpeace, Peta oder Amnesty werden?
Erstens hat es niemals ein Zeitalter gegeben, in dem Kirchen sich unpolitisch verhalten hätten - und das nicht nur, weil Politik zwangsläufig alle Lebensbereiche durchdringt. Kirchen sind immer politisch positioniert. Die Kirchen des Kaiserreichs lehrten statt der Subversion, die Fleischhauer mißfällt, eben Ruhe, Gehorsam und Ordnung als Christenpflicht und halfen damit dem status quo in Deutschland. Luther verfaßte neben der Freiheit eines Christenmenschen auch An den christlichen Adel deutscher Nation und griff damit religiös-politische Zustände an. Eine Art politische Neutralität der Kirche ist nur durch Staatsterror zu erreichen.
Zweitens ist die Trennung zwischen "Religion" und "Politik" fiktiv. Es gibt keine religiöse Sphäre, in der es nur um Engelein und Abendmahl ginge, die Gesellschaft insgesamt aber fein säuberlich außen vor bliebe. In der Gottesherrschaft des Alten Testaments ist das unübersehbar, aber auch das Evangelium ist zutiefst politisch. Die Werte, die Gläubige ihrer Religion entnehmen, beeinflussen ihr politisches Engagement, und die Gesellschaftskonstellation durchdringt umgekehrt die Kirche. Die scheinbare Trennung von Religion und Politik, Staat und Kirche ist dafür sogar das beste Beispiel, denn sie ist das unmittelbare Produkt der kapitalistischen gesellschaftlichen Revolution (wozu siehe Marx, Zur Judenfrage).
Stimmt es nun, daß "[k]aum ein Pastor [sich noch] traut..., ungeniert von Himmel und Hölle zu sprechen"? Damit hat Fleischhauer in meiner Erfahrung allerdings recht. Und wenn die Kirche also zur Gruppentherapie und Ethikstunde verkommt, in der man sich der Bibel schämt, wie vielerorts geschehen, macht sie sich tatsächlich selbst überflüssig. Aber daraus läßt sich keineswegs schließen, daß die Kirche gesellschaftliches Engagement aufgeben und nur noch von Kreuzigung und Höllenfeuer zu erzählen hätte. Ein solcher Rückzug wäre wie schon gesagt ohnehin unmöglich. Vielmehr gibt das Evangelium der Kirche eine einzigartige Perspektive auf gesellschaftliche Fragen und kann einen Dialog zwischen Gott und Welt anstoßen, der beide bereichert.
Jesus' Spruch, wonach ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich gehe, ist wenig tröstlich für die Herrschaft. Jesaja 58 zerlegt die zurschaugestellte Frömmigkeit jener Elite, die zugleich die Armen auspreßt. Das Evangelium - daß alle Menschen in ihrem Wert, aber auch ihrer Schuld vor Gott gleich sind und Christus als Mensch lebte, hungerte, litt und für uns starb - gehört keineswegs jenen, die aus ihm Akzeptanz der Gesellschaftsordnung ablesen wollen. Vielmehr leitet es zur Kritik an. Diese Kritik - den Dialog zwischen Wort und Welt - kann die Kirche führen. Daß sie sich in Dresden in die großen Gesellschaftsfragen einmischt, ist gut für die Kirche und gut für die Gesellschaft.
No comments:
Post a Comment