Monday 10 January 2011

Die rote Bedrohung vom Karl-Liebknecht-Haus

Gesine Lötzsch verlangt eine Parteidiktatur sowjetischer Prägung in Deutschland, und zwar sofort. Inspiriert von Stalin, Mao und Pol Pot will sie unser Land in den strahlenden Morgen der kommunistischen Utopie versetzen, selbst – nein, gerade! – wenn es Abermillionen Menschenleben kostet.

Könnte man meinen, wenn man in der letzten Woche die bürgerliche Presse durchblätterte. Der „Spiegel“ hatte die Alarmglocken geläutet ob eines Artikels, den Gesine Lötzsch, Parteichefin der Linken, in der „Jungen Welt“ veröffentlicht hatte, Titel: „Wege zum Kommunismus“. „Klartext bei der Linken“, fand „Spiegel“-Autor Stefan Berg. Jan Fleischhauer setzte noch einen drauf: die Linkspartei nehme Frau Lötzsch „vor allem übel, dass [sic!] sie den Leuten so direkt auf die Nase gebunden hat, wohin die Reise mit der Linkspartei geht, sollte sie wieder [sic!] an die Macht kommen“.

Die Linke, eine Bande gemeinster Verschwörer! Aber sehr marxistisch kann man solches Doppelspiel kaum nennen. Heißt es nicht im „Kommunistischen Manifest“: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung“? Da gleicht die Linke dann wohl eher jenen roten Komplotten, die die Phantasie der Kalten Krieger Amerikas zirka 1950 bevölkerten.

Daß der „Spiegel“ sich gerne ab und an als staatstragendes Hetzblatt betätigt, interessiert hier nicht. Es hülfe den Herren Berg und Fleischhauer aber möglicherweise, den anstößigen Artikel auch zu lesen. Reichlich seltsam nimmt sich zum Beispiel Stefan Bergs Ausspruch aus, daß Lötzsch die „Blutspur“ des Kommunismus vergesse: „Kein Wort verliert sie über die Opfer des Kommunismus, über die Lager in der Sowjetunion, in China oder in Korea, die alle im Namen des Kommunismus errichtet wurden.“ Es ist kein Wunder, daß diese Opfer nicht erwähnt werden – lehnt doch Lötzsch einen leninistischen Kurs ausdrücklich ab. Sie spricht sich aus für den „Linksradikalismus – [diese] ‚Kinderkrankheit des Kommunismus‘ (Lenin)“. Für Rosa Luxemburg, deren Ideen hier bewundert werden, war der Sozialismus „kein fertiges Ideal, kein genial entworfener Bauplan, sondern etwas, das aus den realen Kämpfen wachsen würde“, ganz im Gegensatz eben zu den Ideen Lenins und Trotzkis, die zur gleichen Zeit das Sowjetsystem aufbauten.

Tatsächlich tritt Gesine Lötzsch in diesem Artikel ein für etwas, das früher Revisionismus geheißen und vor hundert Jahren noch von der SPD als rechtssektiererisch verdammt wurde: die graduelle Verschiebung des Machtgefüges durch die Demokratisierung und Sozialisierung von Institutionen und Wirtschaftsbereichen, das „Zurückdrängen“ kapitalistischer und imperialistischer Kräfte: „die Profitdominanz über Wirtschaft und Gesellschaft zu überwinden, die Ansätze einer neuen Gesellschaft ‚hineinzupressen‘ in die alte, bis sich beweist, daß dem demokratischen Sozialismus die Zukunft gehört“. Nun ist das natürlich nicht mehr als die seit Jahren aus Wahlprogrammen und dem Parteiprogramms-Entwurf bekannte Strategie der Linkspartei, nicht ganz korrekt präsentiert als ein konsequentes Umsetzen der Ideen Rosa Luxemburgs. Aber so schreiben sich keine reißerischen Artikel: nein, der Russe muß her, wie er mit Plattenbau und Kalaschnikow die abendländische Kultur bedroht.

Das Zahlenspiel über Opfer, das die „Spiegel“-Autoren begeistert herbeirufen, könnte man mitspielen, aber eine solche Instrumentalisierung ermordeter Menschen gereicht den Beteiligten nur zur Schande. Daß aber der Kapitalismus, der in imperialistischen Kriegen, durch Hunger, Krankheit und Schufterei seit über zweihundert Jahren Menschen systematisch hinwegrafft, im Namen der Menschlichkeit verteidigt wird, ist an Zynismus kaum zu überbieten.

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